Foto: Gabriele Lermann BAD KÖNIG. "Manchmal ist es traurig, wenn man Recht behält", eröffnete Andrea Ypsilanti ihre Rede zum 1. Mai im Odenwaldkreis. Die SPD-Politikerin war prominenter Gast der Kundgebung auf der Freilichtbühne von Bad König. Der Veranstaltung war ein Demonstrationszug vorausgegangen.
"Alles ist gut", heiße es allenthalben zu Aufschwung und Arbeitsmarkt – die Realität sei eine andere, meinte Ypsilanti. Denn in Deutschland herrsche weder Bildungs-, Geschlechter- oder Umweltgerechtigkeit, und deshalb seien vor allem die Gewerkschaften erneut gefordert.
Die Folgen der Finanzkrise seien noch lang nicht ausgestanden, und während jede Menge Kapital außerhalb der realen Wirtschaft angehäuft werde, fehle langfristig Geld für soziale Aufgaben. Deutlich machte die Sozialdemokratin ihre Kritik anhand von Zahlen: Laut statischem Bundesamt habe die Bundesregierung die Löcher um die sogenannte "Bad Bank" Hypo Real Estate und andere Investmentfonds mit rund 232 Milliarden Euro gestopft. Dies allein mache drei Viertel der öffentlichen Schulden aus. Hinzu komme der europäische Euro-Rettungsschirm mit 500 Milliarden Euro. Das hier kein Aufschrei durchs Volk gehe, liege wohl an der Unfassbarkeit solcher Zahlen für einen Normalbürger.
Thema Arbeitsmarkt: Hier sei nur gut die Hälfte der Arbeitnehmer sicher und solide bezahlt beschäftigt, erklärte Ypsilanti. Der Rest halte sich mit Mini-Jobs, Teilzeit, Leiharbeit sowie un- oder minderbezahlten Praktika über Wasser. Bei den sogenannten "prekär Beschäftigten" verdienten 1,5 Millionen Arbeitnehmer weniger als fünf Euro die Stunde und 2,1 Millionen weniger als sechs Euro die Stunde. Dies sei Ausbeutung. Hinzu kämen 1,3 Millionen Vollzeitbeschäftigte, die durch Hartz IV unterstützt werden müssten. "Hier werden Staat und Steuerzahler benutzt, um Lohnkosten zu sparen." Deshalb sei ein Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro unverzichtbar.
Deutschland habe europaweit die meisten Langzeitarbeitslosen, so Andrea Ypsilanti. Und entgegen der öffentlichen Meinung verfügten die meisten von ihnen über eine solide Ausbildung. Die Jugend hingegen vermisse immer mehr Ausbildung, was längst ein gesamteuropäisches Problem sei. "Wer seinen Nachwuchs selbst ausbildet, muss keine Fachkräfte im Ausland suchen", stellte die Politikerin klar. Zudem stehe Bildung heute vor neuen Herausforderungen: Über das Vermitteln von Fachwissen hinaus gelte es, dem jungen Menschen ein wachsames und kritisches Selbstbewusstsein sowie stabile Werte zu vermitteln.
"Wir müssen uns der Frage der Arbeitsverteilung neu stellen, denn Familie und Ehrenamt brauchen ihren Platz im Leben", machte sich der Gast für flexible und verkürzte Arbeitszeiten stark. "Wir müssen unsere Köpfe wieder öffnen für Zukunft und eine solidarische Gesellschaft."
Als größten politischen Skandal wertete die Rednerin den Ausstieg aus dem Atomausstieg. Auch auf landespolitischer Ebene habe die SPD den Ausstieg gefordert, verknüpft mit dem Einsatz regenerativer Energien. "Hessen hat die Chance verpasst, Vorreiter zu sein." Der Bürger sei nun erst recht gefordert, kritische Politiker mehr zu unterstützen. Und Politiker sollten sich wieder dem Gemeinwohl verpflichtet sehen.
Veranstalter der Mai-Kundgebung war der DGB-Kreisverband, unterstützt von Attac Odenwald, den Naturfreunden und dem Bündnis "Odenwald gegen Rechts". Für Mindestlöhne setzten sich ebenso die weiteren Redner, DGB-Sekretär Horst Raupp, DGB-Kreisvorsitzender Harald Staier und Roger Nisch von der DGB-Jugend Odenwaldkreis ein.
Quelle: Odenwälder Echo.