Foto: Horst Kamke BAD KÖNIG. "Gerecht geht anders", lenkte Sybille Lust als stellvertretende Leiterin des Verdi-Landesbezirks an der Freilichtbühne der Kurstadt das Augenmerk der Demonstranten auf die diesjährige Kampfparole der Gewerkschaften: "Wir gehen vor: Gute Arbeit, gerechte Löhne, starker Sozialstaat."
Ihre Großmutter, so die Hauptrednerin bei der Maifeier des DGB-Kreisverbands, hatte in Bad König noch im Alter von mehr als 80 Jahren ihre schmale Rente als Putzfrau aufbessern müssen: "Niedrige Löhne drücken die Renten", verdeutlichte Lust einen Beweggrund, weshalb die Gewerkschaften flächendeckende Mindestlöhne fordern.
Ein Lohn von mindestens 8,50 Euro in der Stunde müsse allerdings auch deshalb gelten, um den Gefahren einer Dumpingpolitik durch Marktradikale entgegen zu wirken: "Das Europa der Freizügigkeit muss ein soziales Europa werden." Der erste Mai als Kampftag habe seit seinen Anfängen vor 120 Jahren nicht das Geringste an seiner Berechtigung verloren. "Arbeit darf nicht arm machen", forderte die Gewerkschafterin. Lohndrückerei und Ausbeutung seien deshalb fehl am Platz. Darin war sie sich einig mit DGB-Kreisvorsitzendem Harald Staier, der sich ebenfalls gegen eine Politik der niedrigen Löhne ausgesprochen hatte.
Zugleich prangerte Sybille Lust die Steuer- und Finanzpolitik der Bundesregierung als Bereicherungsprogramm für Kapitalbesitzer an. Es sei nicht nachvollziehbar, warum auch existenzielle Verbrauchsgüter mit der Mehrwertsteuer belegt seien, aber Finanzprodukte steuerfrei gehandelt werden dürfen. Eine Transaktionssteuer würde der Spekulation entgegen wirken und Einnahmen bei denen erwirken, die Schuld an der Finanzkrise tragen. Mit dem Plus an Steuereinnahmen könne Deutschland seine schlechte Position in der Bildungspolitik verbessern: "Um zum Beispiel bei den Ausgaben pro Grundschüler - gemessen am Bruttoinlandsprodukt - vom 24. Platz in der EU wegzukommen, müssen jährlich 30 Milliarden Euro investiert werden."
Ausführlich ging die Gewerkschafterin auch auf die Finanzmisere der Kommunen ein. Obwohl dort derzeit bereits insgesamt zwölf Milliarden Euro fehlen, werde über den Wegfall der Gewerbesteuer nachgedacht, "um den Unternehmern 34 Milliarden Euro zu schenken."
Der Ausfall dieser Einnahmen soll über die Erhöhung der Mehrwertsteuer und durch einen Zuschlag zur Einkommenssteuer finanziert werden, den die Kommunen selbst erheben dürfen. "Das wird die Kluft zwischen armen und reichen Kommunen weiter vertiefen", sagte Lust voraus. Statt Steuergeschenke zu verteilen, wäre es gerecht, den Spitzensteuersatz wieder auf 53 Prozent steigen zu lassen und Steuern bei den zehn Prozent der Deutschen zu erheben, die 60 Prozent des Volksvermögens besitzen. Gerecht wäre auch eine solidarische Finanzierung der Krankenversicherung anstelle einer Kopfpauschale.
Auch Bürgermeister Uwe Veith beklagte, dass der Abbau des Sozialstaates systematisch vorangetrieben wird. Vulgärliberale Demagogen nannte er die Politiker der schwarz-gelben Regierung, die in dramatischem Tempo bewährte Systeme aushöhlen.
Als Vorsitzender der SPD-Stadtverordnetenfraktion in der Kurstadt ging Raoul Giebenhain auf die Finanzmisere der Kommunen ein: "Die kommunale Selbstverwaltung ist in Gefahr." Bad König kämpfe ums nackte Überleben. Giebenhain zeigte sich solidarisch mit der DGB-Forderung, "Kommunen aus Landesmitteln stabil, dauerhaft und stetig zu finanzieren."
Von der DGB-Jugend des Odenwaldkreises kam Eve Heldmann zu Wort, die in ihrem Redebeitrag auf die verhängnisvolle Lage des Ausbildungsmarktes hinwies und einen im Grundgesetz verankerten Rechtsanspruch auf eine Ausbildung forderte: "Das wäre ein Meilenstein in der sozialen Ausgestaltung Deutschlands."
Einmal mehr waren bei der Maifeier die Naturfreunde, die Attac-Globalisierungsgegner und das Odenwälder "Bündnis gegen Rechts" präsent, die Unterschriften gegen den in der Landeshauptstadt Wiesbaden geplanten Aufmarsch von Rechtsradikalen sammelten. Für den musikalischen Rahmen sorgte die junge Erbacher Formation "Jule's Trash Band".
Quelle: Echo-online.de